Dienstag, 1. September 2009

Analyse des Widerstands gegen den Bologna-Prozess


von Univ.-Prof. Dr. Volker Stein (Universität Siegen)



Nach zehn Jahren erlebten Bologna-Prozesses lässt sich bei der Mehrzahl der Betroffenen schnell Einigkeit darüber erzielen, dass die – durchaus sinnhaltigen und das frühere Hochschulsystem potenziell verbessernden – Bologna-Ziele in Deutschland nicht nur einseitig ideologisiert und mit entgegengesetzt zur Intention umgesetzt wurden, sondern dass zudem für die nun anstehende Fortsetzung des Bologna-Prozesses ab 2010 keine substanziellen Verbesserungen in Sicht sind.

Dies spielt sich auf der Ebene der Protagonisten ab – von denen die meisten offensichtlich „aus guten Gründen“ geschwiegen haben. Es stimmt: Es gab und gibt kleine Widerstandsinitiativen. Dennoch wurde die kritische Masse an Kritikern nicht erreicht:
- Die Masse der jüngeren Professoren will berufen werden, Karriere machen und es sich auf diesem Weg nicht mit ihren Präsidenten oder Rektoren verscherzen, von deren Wohlwollen sie nicht zuletzt bei Vergütungsverhandlungen abhängig sind.
- Die Masse der etablierten Professoren hat bereits pragmatisch resigniert, fügt sich in das Unvermeidliche insbesondere der strukturell-bürokratischen Überlastung und zieht sich ansonsten aus dem Feld der gelebten Bildungspolitik im Sinne einer inneren Kündigung heraus.
- Die Masse der älteren Professoren kümmert sich eher um den Abschluss ihres Forscherlebens und vielleicht noch um ihren Nachruhm als um – obwohl möglicherweise „aus sicherer Position heraus“ –die kritische, aber letztlich aussichtslose Einbringung ihrer Erfahrung zur Verbesserung des Systems.
- Die Masse der betroffenen Studierenden wollte auf immer leichteren Wegen ihren gut klingenden Studienabschluss erwerben und hat im Übrigen zu Beginn selber unterstützt, was sie heute ablehnt: Es musste von Anfang an klar gewesen sein, dass die rechnerische Konsequenz zur Finanzierung der erwünschten Studienreformen die Einführung von Studiengebühren sei.
- Die Masse der Präsidenten und Rektoren, vertreten durch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), profitiert unmittelbar von der mit der Bologna-Reform einhergehenden Zentralisierung und dem Machtzuwachs.
- Die Masse der Hochschulräte hat seine die Universität schützende Rolle noch nicht ausreichend definiert und setzt sich teilweise nicht gerade aus „internen Systemkennern“ zusammen.
- Die Masse der Unternehmen sah Absolventen, die mit jüngerem Einstiegsalter und geringeren Qualifikationen eine nachhaltige Gehaltseinstufung weit unter Diplomandenniveau durchsetzbar erscheinen ließ. Wie derzeit langsam offenbar wird, wurden die notwendigen Nachqualifikationen allerdings noch nicht in die Rechnung von „Bachelors welcome“ eingepreist.
- Die Masse der Politiker will sich als modern, reformfreudig, europanah und bildungsorientiert geben, ihr fehlt jedoch ein vertieftes Verständnis der spezifischen Logik von Universitäten und ihrer Dynamiken.
- Die Masse der Bürokratieprofiteure lebt recht gut davon, die Probleme, die sie durch ihre bildungspolitische Initiativen mit heraufbeschworen haben, nun im universitären Einzelfall zu diagnostizieren und gut dotiert mit zu lösen helfen – hier sind vor allem das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) sowie die Akkreditierungsagenturen zu nennen.


Das Scheitern der Bologna-Reform (zumindest der „Stufe 1“ von 1999 bis 2009) ist damit ein kollektives Scheitern: Es paarten sich Ahnungslosigkeit mit Desinteresse, Hilflosigkeit mit Frustration, vorauseilender Gehorsam mit innerer Kündigung. Man nimmt erst langsam staunenden Auges wahr, wie einige besonders fleißige Akteure ein unfassbar großes Trojanisches Pferd in die deutschen Universitäten hineingeschoben haben, dem „un-heimliches“ Verderben für das deutsche Bildungssystem entstieg. Relevanter Widerstand entwickelte sich nicht. Ich habe Angst, dass dies für den kommenden „Bologna 2-Prozess“, der unter ähnlich unheilvollen Vorzeichen weiterzugehen droht, so bleiben könnte.


(Dieser Beitrag wurde zuerst vom Bund Freiheit der Wissenschaft im Heft: "Bologna-Prozess in Deutschland: ein Trojanisches Pferd für das deutsche Hochschulsystem?", Feb. 2009, abgedruckt.)